Früherkennung bzw. Screenings für Hochrisikopatienten

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Prometheus
Beiträge: 10
Registriert: 24. September 2023, 00:09

Früherkennung bzw. Screenings für Hochrisikopatienten

Beitrag von Prometheus »

Hallo zusammen,

ich wollte mal ein Thema ansprechen, das bislang kaum Beachtung findet. In diesem Forum geht es (wie der Name des Vereins ja auch sagt) schwerpunktmäßig um bereits Erkrankte und operierte Patienten. Es macht ja auch Sinn, sich etwas abzugrenzen von den ganzen "was-wäre-wenn"-Verdachtsdiagnosen. Ich selber war positiv überrascht von den Reaktionen auf meine Nachfragen, als ich noch vollkommen in der Luft hing bezüglich der bestätigten Diagnose meiner Schwester (BSDK, OP letztes Jahr), meines Vaters (BDSK, vor Jahren verstorben) und meinen eigenen Symptomen. Bisher wurde bei mir ja auch nichts gefunden ...

Nun haben meine erkrankte Schwester, meine andere Schwester und ich mittels humangenetischer Untersuchung bestätigt bekommen, dass wir alle eine prädisponierende Keimbahnmutation haben und in Verbindung mit dem gehäuften Auftreten in der Familie somit zu den "Hochrisikopatienten" zählen. Bisher gab es lediglich an der Uniklinik Marburg eine "Beobachtungsstudie" zum familiären Pankreaskarzinom. Dieses scheint jedoch nun nach über 20 Jahren beendet zu sein und wurde überführt in ein "Screeningprogramm". Einmal jährlich MRT/MRCP und EUS inkl. Biomarker. Soweit so gut. Allerdings wurde das Thema Screening/Surveillance bei HRIs (High-Risk-Individuals) schon länger diskutiert und erst jetzt, im März 2024, offiziell in die S3-Leitlinie Pankreaskarzinom aufgenommen.

Nun wird also Laut Leitlinie allgemein empfohlen, allen HRIs ein solches Surveillance-Programm anzubieten. Die genauen Vorraussetzungen sind in Kapitel 4.4.2.3 definiert. Es gibt leider aktuell noch kaum Informationen dazu im Netz. Das ist schon nachvollziehbar, da die neu Leitlinie 3.0 erst im März diesen Jahres veröffentlicht wurde. Was mich jedoch sehr verwundert, ist, dass scheinbar auch viele FACHärzte GAR NICHTS darüber wissen. Die Studie in Marburg lief über 20 Jahre lang ... aber weder der Onkologe meiner Schwester noch der Leiter der Humangenetik bei dem wir die Tests haben machen lassen wollte irgendwas von Screeninguntersuchungen bei HRIs wie uns wissen! Angeblich gäbe es das gar nicht und einer wies auf die "hohe Strahlenbelastung im CT" bei solchen Untersuchungen hin (Solche Untersuchungen macht man mittels MRT und EUS!?!). Auch in dem Krankenhaus wo meine Schwester operiert wurde, wurde sie nicht auf die Möglichkeit einer familiären Vorbelastung und die Möglichkeit genetischer Tests hingewiesen.

Ohne umfangreiche eigene Recherchen zu dem Thema hätten ich und meine Schwester nichts davon erfahren. Am Ende ist es natürlich eine ganz persönliche Entscheidung ob man sich genetisch testen lässt und sich auf ein solches Screening einlässt. Das kann auch sehr belasten. Vor allem wenn man eigene Kinder hat. Aber wenigstens die Wahl sollte man haben und darauf hingewiesen werden dass es solche Möglichkeiten gibt.

Die Seite des AdP ist eine hochseriöse Seite die sachlich und fundiert aufklärt, ohne Polemik, Panik oder falsche Versprechungen durch reisserische Artikel o.ä. zu verbreiten. Dass man trotzdem mit den nicht wenigen Prä-diagnostischen Anfragen im Forum so freundlich und entspannt umgeht ist ausgesprochen löblich und selten im Netz.

Was ich toll fände, wäre eine kleine Infoseite hier für HRIs wie mich und meine Familie. Etwas, worauf man im Falle von Anfragen verweisen kann. Wir haben vielleicht (noch) keine nachgewiesene Erkrankung und bekommen sie möglicherweise/hoffentlich auch nicht ... aber wir haben in den meisten Fällen schon betroffene Angehörige (sonst wären wir ja meist nicht auf die Idee gekommen uns genetisch testen zu lassen) und müssen uns mit dem Thema auseinandersetzen.

Ich schreibe das hier im Forum, um auf jeden Fall schon mal auf die neuen Leitlinien und die Möglichkeiten von Früherkennungsmaßnahmen bei HRIs hinzuweisen, so dass Betroffen diese Info finden können. Gerne wäre ich, im Rahmen meiner bescheidenen Möglichkeiten (Fachkraft im Onlinemarketing mit Erfahrung im Verfassen von Infotexten) auch behilflich bei der Erstellung einer Infoseite, sollte man eine solche erstellen wollen. Etwas Erfahrung durch Recherchen und Erfahrung mit Untersuchungen habe ich ja schon bzw. sammle ich aktuell (in Marburg und Heidelberg). Sollte diesbezüglich Interesse bestehen, stehe ich gerne zur Verfügung.

Beste Grüße
Matthiasj
Beiträge: 10
Registriert: 30. Januar 2024, 03:12

Re: Früherkennung bzw. Screenings für Hochrisikopatienten

Beitrag von Matthiasj »

Hallo,
das ist ein wichtiges Thema - nicht nur für Angehörige, sondern auch für survivors.
Tatsächlich wird die Bildgebung post-operativ in Europa meist mit dem CT gemacht. Weil dann schneller auf eine größere Fläche geschaut werden kann.

Und: Weil die Auswertung der sehr vielen MRT-Bilder bei sehr vielen Ganzkörper-MRT und sehr vielen Patient*innen die Personalkapazitäten sehr bald überstrapazierten? Weil die MRT-Geräte in den Spitälern noch ausgelasteter als die CTs sind? Ergo: weil es billiger ist? Natürlich strahlen die CTs weniger als früher - aber eben immer noch viel. Bei Kindern ist man jetzt nach neueren Studien nochmal sehr viel vorsichtiger geworden vgl. https://www.bfs.de/SharedDocs/Kurzmeldungen/BfS/EN/2022/1208-ct-cancer-risk.html
Ich hoffe, dass MRTs in naher Zukunft nicht mehr nur von Radiolog*innen, sondern von KIs ausgewertet werden und der Zugang damit leichter möglich ist. Und das mein Leukämie-Risiko durch die vielen CTs bis dahin nur statistisch steigt.

Ein anderes Thema der Früherkennung ist die Gen-Diagnostik. Das US Pancreatic Cancer Action Network und dessen „know-your-tumor“-Initiative empfiehlt „extensive genetic testing for all pancreas cancer patients“ - nach aktueller Studienlage sind nämlich 25% aller Buchspeicheldrüsenkarziome mit molekularen Veränderungen (vererbt oder somatisch) assoziiert, die Auswirkungen auf das Behandlungsregime haben (können, vgl. https://doi.org/10.1016/S1470-2045(20)30074-7 ).

In Europa ist aber selbst bei Kranken ein BRCA-Test (weiß-, grün- und blaugekleidete sprechen: „BRACA“) wohl kein Standard. Das liegt, wenn ich das richtig verstanden habe, u.a. an der Gendiagnostik-Gesetzgebung (die ja, genau wie das Ziel, die MRTs nicht zu überlasten, durchaus sinnvoll ist).

In Anbetracht der wirklich rasend schnellen Entwicklung bzg. der mRNA-Impfungen (aktuelle Biontec-Studie in den USA) möchte ich aber eigentlich schneller wissen, was gendiagnostisch bei mir los ist (und bei unseren Kindern, gerade der Tochter).

Z.B. die Firma Ariel bietet (dies aber nur in den USA und nur auf Veranlassung eines health-care providers) diverse Test-Bündel an, die gar nicht mal so teuer, aber aus Europa nicht bzw. nicht ganz einfach zu erhalten sind:

Pancreatitis SNaP-Shot™ is $299
Pharmacogenomics SNaP-Shot™ (PGx) is $249
Pancreatic Cancer SNaP-Shot™ is $299

Pancreatitis SNaP-Shot™ + Pharmacogenomics SNaP-Shot™ (PGx) bundle is $399
Pancreatitis SNaP-Shot™ + Pancreatic Cancer SNaP-Shot™ bundle is $498

Please feel free to take a look at the Ariel Website as well for more information: https://arielmedicine.com

Frage: Hat hier jemand im Forum Erfahrung mit derlei Tests, idealerweise durchgeführt in vertrauensvoller Absprache mit der behandelnden Onkolog*in? Was machen die Amis mehr als wir können/dürfen/standardmäßig bekommen? Auf Grundlage welcher Studien?

Ich denke, diese Fragen werden jetzt sehr viel häufiger auftauchen, weil immer neue Studienergebnisse dazukommen. Idealerweise werden die besten Studien bald wg. durchschlagender Erfolgs abgebrochen und wir bekommen allesamt eine Spritze… also schön durchhalten…

Aber: Uns bis dahin wirklich gut austauschen und vielleicht (politische) Positionen entwickeln und mit (welchen?) Partner*innen artikulieren, welche CT- und MRT-Behandlung und welche Gen-Diagnostik wir Patient*innen uns für uns und unsere Angehörigen wünschen? Vielleicht braucht ja auch nicht jede Klinik ein MRT-mit-Pankreas-KI: Daten können reisen?

Auch dieser Austausch erscheint zunehmend wichtig, die Frage nach der Früherkennung bzw. des Screenings für Hochrisiko-Patient*innen (und Überlebende) schließt da nahtlos an/ist ein guter Start-Punkt: da geht’s um ganz politische Fragen, die uns betreffen (meiner Ansicht nach hat Lauterbach ja allerwenigsten in einem Punkt recht: meinem schlimmsten Feind wünsche ich keine Krebs-OP im Kreisspital Posemuckel…).

Vielleicht könnte sowas auch Thema für das nächste Jahrestreffen werden? (= Frage eines Neumitglieds, meine OP war erst im Jänner: wie kommen bei den Treffen eigentlich welche Themen auf die Agenda - vielleicht auch aus dem Forum, wie bei der Frage nach Facebook, was viele mit guten Argumenten nicht zu wollen scheinen?).

Grüße, Gesundheit, gute Besserung, gute Koordination, gute Entscheidungsfindungen und guten Mut,
Matthias
Matthiasj
Beiträge: 10
Registriert: 30. Januar 2024, 03:12

Re: Früherkennung bzw. Screenings für Hochrisikopatienten

Beitrag von Matthiasj »

Meine obige Antwort schloss sehr an Deinen Aktions-Vorschlag (Info-Seite) an.
Dein Beitrag hatte ja noch eine andere Dimension: wieso um alles in der Welt ist das screening vielen Hausärzt*innen so unbekannt? Da gibt es, glaube ich, zwei Gründe:

(1). Zu viele schlechte Hausärzt*innen schicken spindeldürre, neu-zuckerkranke Rückenschmerzpatient*innen über den Umweg der Orthopädie auf der Überholspur unter den Grabstein. Mein Orthopäde erzählte mir neulich, dass er selten, aber doch immer wieder, Pankreas-Karzinome diagnostizieren lässt: Der gute Mann hat eine Wartezeit von knapp einem Jahr. Das durchschnittliche Lebenserwarten bei BSDK liegt wohl deutlich darunter = nicht jedes hausärztliche Versagen erreicht ihn also.
Ich selbst hatte super Glück mit meinem super-Hausarzt (gibt‘s natürlich auch, und viele). Tatsächlich marschiere ich einmal im Jahr, im September, zum Internisten. 2023 fiel die Untersuchung aus, der Termin wurde in den Jänner 2024 verschoben. Wg. Fettstuhl bin ich vorher zu meinem Hausarzt, der im Schall nichts gesehen hatte, aber gut nachgedacht hat: Galle müsste weh tun. Also CT im Spital. Da war der Tumor schon 4cm. Ist mein Hausarzt der bessere Internist? Glaube ich nicht: BSDK ist halt einfach extrem schnell. Mein Internist schwört, dass 2023 noch gar nichts da war. Und ich glaube, dass er ein guter Schaller ist (Schlechte gibt’s auch…) und in sehr gute Ultraschallgeräte investiert (da gibt‘‘s in den Praxen sehr viel alten Schrott, die keine guten Bilder, dafür aber hübsche Rechnungen liefern).

(2). Erst neuere Studien haben Evidenz für die Sinnhaftigkeit des screenings überhaupt belegt
https://doi.org/10.1016/S1470-2045(20)30074-7
Viele der besseren (nicht nur Haus-)Ärzt*innen (die nicht jede Studie jeder Krankheit lesen können - das können nichtmal Extrem-Lesende wie K. Lauterbach…) gehen noch davon aus, d. ein screening faktisch nichts bringt. Das war so, ist aber nicht mehr so und wird wg. der Gendiagnostik auch nochmal unrichtiger.

Das bringt mich zurück zu deinem Aktions-Vorschlag: wahrscheinlich macht eine website, die Du ja nicht strategisch in die Kommunikationsanstrengungen der Deutschen Krebshilfe einbinden kannst, weniger Sinn, als eine entsprechende Bitte des AdP an die Krebshilfe. Dauert etwas länger, verhindert aber viele Einzelaktionen, die dann leicht untergehen.

Aber: sowas sollte Thema werden. Vielleicht auch im Board der AdP. Wenn es wirklich Sinn machen würde, die Diagnostik zu zentralisieren (bei gleichzeitiger Aufklärungsarbeit in Richtung Hausarzt-Ordinationen und ja, den Gesundheits-Kiosken), wäre ja nicht jede Radiologie happy.

Aber dafür sehr viele marginalisierte, schlecht deutsch sprechende arme, alleinerziehende Patient*innen, die im Schnitt sicher sehr viel früher sterben und mehr leiden als das durchschnittliche und gut informierte AdP-Mitglied, das den Weg in eine Fachklinik mit gutem outcome schafft.

Gruß,
Matthias
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