Grenzerfahrung
Verfasst: 14. August 2015, 23:17
Liebe Mitkämpfer,
Ich bin angekommen – an dem Punkt, an dem es nichts mehr schönzureden, nichts mehr zu verdrängen gibt...
Rückblickend verstehe ich überhaupt nicht mehr, wie ich so perfekt (nein, das ist jetzt kein Eigenlob, es war halt einfach so) funktionieren konnte. Das Todesurteil kam am 15. Januar, und seitdem bin ich nur am Kämpfen. Und ich war lange Zeit ganz allein mit meinem Wissen um die Ernsthaftigkeit der Diagnose BSPD-Karzinom. Unser Hausarzt hat zwar meinem Mann gesagt, was er hat – das war es dann aber auch. Ich war ein paar Tage danach allein bei ihm, und da hat er Tacheles geredet: Noch ein halbes Jahr, 5-Jahres-Überlebensrate, Palliatie, künstliche Ernährung etc., etc......
Ich sehe mich heute noch nach dieser Ansage in meinem Auto sitzen – SCHREIEND. Ich habe geheult und geschrien wie eine Verrückte. Eine gemeinsame Freundin angerufen – die hat sofort losgeheult. Wir haben zusammen geweint, ich hab mich zusammengerissen, bin irgendwie nach Hause gefahren - und mein Mann hat nichts gemerkt. Ich habe es auch seiner Mutter, mit der wir in einem Haus leben (auch das noch) nicht die Wahrheit gesagt – die Frau ist herzkrank, ich dachte, die kippt um, wenn sie das hört.
Im Nachhinein: Ganz großer Fehler.
Zum einen MUSS ein Mensch wissen, wie es um ihn steht. Zum anderen: Man kann das auf Dauer nicht alleine schultern.
Ich dachte mir, ich sag ihm das nicht, damit er nicht das Kämpfen aufgibt. Jetzt weiß ich, wie kurz und verkehrt ich da gedacht habe: Der Überlebensinstinkt und damit der Kampfgeist kann erst dann einsetzen, wenn sich die Todesangst einstellt. Und überhaupt – mein Mann hatte bis jetzt „Glück“. Anderen bleiben nach der Diagnose nur noch ein paar Wochen – und die sind wichtiger als all die Jahrzehnte zuvor.. Diese Zeit muss genutzt werden können, um noch irgendwas Schönes zu erleben und wichtige Dinge zu ordnen. Ich war so dumm...
„Vergessen“ hatte ich z. B. Google... Mein Mann hat Verstand und Intelligenz genug, im Internet die Wahrheit, die ich ihm vorenthalten habe, zu finden. Auf ganz seriösen Websites, die man nicht als reißerisch abtun kann.
Und wenn erstmal die Chemo losgeht und der Onkologe Dein „bester Freund“ wird, ist doch ohnehin alles klar. Spätestens dann gibt es keine schonenden Lügen mehr...
Eine ganz andere Frage ist die, wie perfekt man sich selbst belügen kann. Irgendwann in den letzten Tagen musste ich feststellen, dass a) ich nicht nur meinen Mann, sondern auch mich selbst belogen habe, und dass b) jetzt die ganze knallharte Realität auf mich niederprasselt.
Mein Mann baut immer mehr ab. Er hat den fiesesten Krebs, den es überhaupt gibt. Ich habe Studien gelesen, eine nach der anderen. Immer und immer wieder derselbe Konsens; frei zitiert: „So wirklich festmachen kann man dieses und jenes nicht – die Anzahl der Betroffenen ist zu gering, die Überlebensrate reicht nicht aus, um gefestigte Ergebnisse zu erzielen“-
Urplötzlich trifft mich das wie ein Hammer, ich wusste es und wollte es nie wahrhaben: Mein Mann ist grad mal 50 Jahre alt – und wird sterben. In absehbarer Zeit. Ich bin 49 – und werde Witwe werden. BASTA. Nicht heute, nicht morgen, vielleicht auch nicht in einem, zwei, oder drei Jahren.
Mein Mann wird sich ziemlich 100 %ig nie wieder unters Messer legen – wo und wann auch immer das mit 99 %iger Wahrscheinlichkeit auftretende Rezidiv zuschlagen wird – das wird das Ende sein.
Mir bleibt nur, mich auf diesen Moment vorzubereiten und die Wünsche und den Willen meines Mannes zu akzeptieren.
Es ist schwer genug, diese Krankheit anzunehmen – den Tod anzunehmen, hat bei mir sieben Monate gedauert. Und diese Annahme, diese Erkenntnis, haut mich grad mal so richtig um.
Keine Zukunftspläne mehr, kein gemeinsames Rentenalter genießen, aus mit den Träumen....
Und das ist jetzt meine Aufgabe: Realisieren, das Schicksal annehmen und Kraft zu sammeln, um meinen Mann gehen lassen zu können, wenn es soweit ist.
Diese Erkenntnis hat mich getroffen wie ein Blitz aus heiterem Himmel, ich bin fix und fertig und muss mich an den Gedanken erstmal gewöhnen. Andererseits ist das ok, ich kann meinem Mann nicht helfen, wenn ich die Augen verschließe und schönrede, wo es nichts mehr schönzureden gibt.
Natürlich hoffe ich noch – aber mein Verstand tut genau das Richtige: Er bereitet mich vor.
Ich bin tieftraurig, ich habe furchtbare Angst.
Aber mein Mann braucht mich – und dafür lebe ich. Wenn er denn sterben muss, wenn uns diese unaussprechliche Grausamkeit nicht erspart bleibt, dann will ich bis zu diesem Zeitpunkt soviel Kraft gesammelt haben, dass ich ihm und mir einen würdigen Abschied bereiten kann.
Mir zerreißt das Herz....
Ich bin angekommen – an dem Punkt, an dem es nichts mehr schönzureden, nichts mehr zu verdrängen gibt...
Rückblickend verstehe ich überhaupt nicht mehr, wie ich so perfekt (nein, das ist jetzt kein Eigenlob, es war halt einfach so) funktionieren konnte. Das Todesurteil kam am 15. Januar, und seitdem bin ich nur am Kämpfen. Und ich war lange Zeit ganz allein mit meinem Wissen um die Ernsthaftigkeit der Diagnose BSPD-Karzinom. Unser Hausarzt hat zwar meinem Mann gesagt, was er hat – das war es dann aber auch. Ich war ein paar Tage danach allein bei ihm, und da hat er Tacheles geredet: Noch ein halbes Jahr, 5-Jahres-Überlebensrate, Palliatie, künstliche Ernährung etc., etc......
Ich sehe mich heute noch nach dieser Ansage in meinem Auto sitzen – SCHREIEND. Ich habe geheult und geschrien wie eine Verrückte. Eine gemeinsame Freundin angerufen – die hat sofort losgeheult. Wir haben zusammen geweint, ich hab mich zusammengerissen, bin irgendwie nach Hause gefahren - und mein Mann hat nichts gemerkt. Ich habe es auch seiner Mutter, mit der wir in einem Haus leben (auch das noch) nicht die Wahrheit gesagt – die Frau ist herzkrank, ich dachte, die kippt um, wenn sie das hört.
Im Nachhinein: Ganz großer Fehler.
Zum einen MUSS ein Mensch wissen, wie es um ihn steht. Zum anderen: Man kann das auf Dauer nicht alleine schultern.
Ich dachte mir, ich sag ihm das nicht, damit er nicht das Kämpfen aufgibt. Jetzt weiß ich, wie kurz und verkehrt ich da gedacht habe: Der Überlebensinstinkt und damit der Kampfgeist kann erst dann einsetzen, wenn sich die Todesangst einstellt. Und überhaupt – mein Mann hatte bis jetzt „Glück“. Anderen bleiben nach der Diagnose nur noch ein paar Wochen – und die sind wichtiger als all die Jahrzehnte zuvor.. Diese Zeit muss genutzt werden können, um noch irgendwas Schönes zu erleben und wichtige Dinge zu ordnen. Ich war so dumm...
„Vergessen“ hatte ich z. B. Google... Mein Mann hat Verstand und Intelligenz genug, im Internet die Wahrheit, die ich ihm vorenthalten habe, zu finden. Auf ganz seriösen Websites, die man nicht als reißerisch abtun kann.
Und wenn erstmal die Chemo losgeht und der Onkologe Dein „bester Freund“ wird, ist doch ohnehin alles klar. Spätestens dann gibt es keine schonenden Lügen mehr...
Eine ganz andere Frage ist die, wie perfekt man sich selbst belügen kann. Irgendwann in den letzten Tagen musste ich feststellen, dass a) ich nicht nur meinen Mann, sondern auch mich selbst belogen habe, und dass b) jetzt die ganze knallharte Realität auf mich niederprasselt.
Mein Mann baut immer mehr ab. Er hat den fiesesten Krebs, den es überhaupt gibt. Ich habe Studien gelesen, eine nach der anderen. Immer und immer wieder derselbe Konsens; frei zitiert: „So wirklich festmachen kann man dieses und jenes nicht – die Anzahl der Betroffenen ist zu gering, die Überlebensrate reicht nicht aus, um gefestigte Ergebnisse zu erzielen“-
Urplötzlich trifft mich das wie ein Hammer, ich wusste es und wollte es nie wahrhaben: Mein Mann ist grad mal 50 Jahre alt – und wird sterben. In absehbarer Zeit. Ich bin 49 – und werde Witwe werden. BASTA. Nicht heute, nicht morgen, vielleicht auch nicht in einem, zwei, oder drei Jahren.
Mein Mann wird sich ziemlich 100 %ig nie wieder unters Messer legen – wo und wann auch immer das mit 99 %iger Wahrscheinlichkeit auftretende Rezidiv zuschlagen wird – das wird das Ende sein.
Mir bleibt nur, mich auf diesen Moment vorzubereiten und die Wünsche und den Willen meines Mannes zu akzeptieren.
Es ist schwer genug, diese Krankheit anzunehmen – den Tod anzunehmen, hat bei mir sieben Monate gedauert. Und diese Annahme, diese Erkenntnis, haut mich grad mal so richtig um.
Keine Zukunftspläne mehr, kein gemeinsames Rentenalter genießen, aus mit den Träumen....
Und das ist jetzt meine Aufgabe: Realisieren, das Schicksal annehmen und Kraft zu sammeln, um meinen Mann gehen lassen zu können, wenn es soweit ist.
Diese Erkenntnis hat mich getroffen wie ein Blitz aus heiterem Himmel, ich bin fix und fertig und muss mich an den Gedanken erstmal gewöhnen. Andererseits ist das ok, ich kann meinem Mann nicht helfen, wenn ich die Augen verschließe und schönrede, wo es nichts mehr schönzureden gibt.
Natürlich hoffe ich noch – aber mein Verstand tut genau das Richtige: Er bereitet mich vor.
Ich bin tieftraurig, ich habe furchtbare Angst.
Aber mein Mann braucht mich – und dafür lebe ich. Wenn er denn sterben muss, wenn uns diese unaussprechliche Grausamkeit nicht erspart bleibt, dann will ich bis zu diesem Zeitpunkt soviel Kraft gesammelt haben, dass ich ihm und mir einen würdigen Abschied bereiten kann.
Mir zerreißt das Herz....